«Überall wird recycelt, wieso nicht in der Baubranche?»
- Datum
- 16. April 2025

Lukas Beck, Ronan Crippa und Timothy Allen setzen sich für einen Wandel in der Baubranche ein, denn sie wissen: Der ökologische Fussabdruck des konventionellen Bauens ist viel zu gross. Im Interview erklären sie ihre Haltung und zeigen auf, was sich verändern muss.
Lukas, Ronan und Timothy, der Begriff Nachhaltigkeit wurde heute in Bezug auf die Baubranche teilweise schon sehr verwässert. Ihr drei befasst euch aber wirklich intensiv mit nachhaltigem und zirkulärem Bauen. Wie ist es dazu gekommen?
Lukas Beck: Nachhaltigkeit im Sinne von Langlebigkeit ist in meinem Beruf schon immer ein Thema. Durch Weiterbildungen, besonders im Bereich der Denkmalpflege und biologischem Bauen habe ich aber Materialien und Techniken kennengelernt, die nicht nur schön und ästhetisch, sondern gleichzeitig auch sehr praktikabel sind. Seither setze ich diese nicht nur bei Umbauten ein, sondern auch gezielt bei Neubauten, sie wurden zu meiner Kernkompetenz.
Ronan Crippa: Bei uns gab es zwei Aspekte, die uns geleitet haben. Zum einen ist uns erst während des Studiums so richtig klar geworden, was konventionelles Bauen bedeutet, wie viel Stahl in Beton verbaut wird, wie viele CO2-erzeugende Stoffe überhaupt benötigt werden und wie hoch die dafür benötigte graue Energie ist. Das hat uns sehr beschäftigt und dazu geführt, dass wir radikalere Wege einschlagen wollten. Auf der anderen Seite hat die Wiederverwendung von Materialien einen sichtbaren ästhetischen Aspekt neben den positiven Auswirkungen auf die CO2-Bilanz: sie erzeugt Patina. Dadurch haben wir die Möglichkeit, ein Stück Geschichte in ein neues Projekt zu verbauen.
Timothy Allen: Wir sind der Überzeugung, dass die Baubranche so nicht weitermachen kann und darf. Wir müssen einen Wandel herbeiführen und diesen als Chance zu sehen, etwas anderes zu schaffen.
Wie beurteilt Ihr die Offenheit dafür in Eurer Branche in Liechtenstein und der Region für diese Bauweise?
Timothy Allen: Ich würde nicht sagen, dass die Baubranche und Bauherren nicht offen dafür sind. Aber es gibt noch viel Unwissenheit und das Bewusstsein fehlt teilweise noch. Bei einem Holzbau denken viele an eine nachhaltige Bauweise, das stimmt aber so nicht. Nachhaltigkeit wird oftmals zu oberflächlich betrachtet, es braucht ein tieferes Verständnis und einen ehrlichen und ernsthaften Umgang mit dem Thema. Und: Die Baubranche funktioniert in der Regel nach eingespielten Mustern und es ist gar nicht so einfach, da auszubrechen.
Ronan Crippa: Und diese eingespielten Muster sind oftmals günstig, verfügbar und aufgrund der grossen Erfahrungswerte einfach umsetzbar. Beim Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen fehlen diese Erfahrungswerte, was mehr Know-how für deren Verwendung voraussetzt.
Lukas Beck: Die grosse Herausforderung ist, dass eine nachhaltige Bauweise und der Umgang mit den Materialien neu ist, es fehlen oft Vergleichswerte. Das bedeutet, es gibt mehr offene Fragen, mehr Aufwand und schliesslich auch höhere Kosten – zumindest bis das System etabliert ist und es Erfahrungswerte gibt. Wichtig ist, dass Entscheidungsträger das Korsett der konventionellen Bauweise ablegen und offen sind für neue Varianten.
Ihr habt gemeinsam ein Projekt umgesetzt, das besonders ist: das «Gässli5» in Grabs. Worum ging es da?
Timothy Allen: Dabei handelt es sich um einen Strickbau aus dem 17. Jahrhundert, der erhalten werden sollte. Das Ziel war, das Gebäude zurück zubauen und an einem neuen Standort wieder aufzubauen, ohne dass dabei die brauchbare Substanz zerstört wird.
Ronan Crippa: Gleichzeitig sollte das Gebäude durch einen modernen Anbau in die neue Zeit überführt werden, und beides kommt in einem Permakultur Garten zu stehen. Die Idee ist, das Gebäude als Kursraum, als Wohn- oder Gewerberaum und für «Ferien im Baudenkmal» zu nutzen.
Lukas Beck: Beim Anbau wurde viel Wert auf ökologische Bauweisen gelegt. Wir haben uns dazu viele Gedanken gemacht und sind Wege ausserhalb der konventionellen Bauweise gegangen. Das Thema Recycling hat dabei einen grossen Stellenwert, wir haben beispielsweise selbst recycelten Putz aus alten Ziegeln hergestellt und verwendet. Es ist sehr spannend, «out of the box» zu denken, es bedeutet aber auch oft, etwas auszuprobieren und neu anzufangen.
Timothy Allen: Das Projekt war für uns die Möglichkeit, etwas Radikales und Experimentelles zu wagen, bei dem wir selbst Lösungen erarbeiten mussten – es gibt keine Referenz werte. Das macht alles komplizierter, aber es hat sich gelohnt. Es ist ein Vorzeigebeispiel für das Bauen mit reduzierten Emissionen.
Ronan Crippa: Es ist wichtig, dass es solche Projekte gibt. Nur dadurch ist die Möglichkeit gegeben, Neues auszuprobieren, zu verbessern und weiterzuentwickeln. Langfristig können so Wissen und Erfahrung gesammelt werden, damit das ökologische Bauen einfacher und günstiger wird.
Timothy Allen: Unser Ziel war nicht, ein Leuchtturmprojekt zu erschaffen, sondern wir haben aus Überzeugung so gehandelt, wie unserer Meinung nach die Branche in Zukunft bauen sollte. Ein Wandel ist nötig und das Projekt zeigt auf, in welche Richtung es gehen könnte.
Mit ZirkuLIE hat die Region eine relativ neue Plattform für zirkuläres Bauen. Das ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.
Lukas Beck: Es ist gut und wichtig, dass es eine Plattform gibt, die nachhaltiges Bauen thematisiert und in diesem Bereich Aufklärungsarbeit leistet. Gleichzeitig ist es ein Ort, wo Menschen netzwerken und Wissen austauschen.
Ronan Crippa: Das Thema Wiederverwertung ist in Liechtenstein und der ganzen Region noch zu wenig bekannt, zu wenig sichtbar. Deshalb ist die Arbeit von ZirkuLIE so wichtig, um dieses Thema einer breiten Bevölkerungsschicht näherzubringen. Bestehende Bauten müssen als Ressource verstanden werden. Die Bauteilbörse ermöglicht, dass Menschen intakte Teile abgeben und andere mit Patina finden – darin sehe ich ein grosses Potenzial.
Lukas Beck: In der Region wurde sehr viel Bestand bereits abgebrochen und ist verloren.
Timothy Allen: Das liegt auch daran, dass das Rheintal wirtschaftlich sehr stark ist: Viele können sich einen Neubau leisten. In anderen Regionen gibt es mehr Bauen im Bestand und dementsprechend auch mehr Baukultur.
Ronan Crippa: Durch den stetigen Abbruch und Neubau geht Identität verloren, klassische Dörfer zerfallen, alles wird anonymer. Das kann nicht der Weg sein. Aus diesem Grund muss die Möglichkeit der Wiederverwertung und des Umbauens mehr in den Fokus rücken.
Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft?
Timothy Allen: Das Bewusstsein, dass wir nur eine Welt haben. 84 Prozent der Abfälle in der Schweiz verursacht die Baubranche, 35 Prozent der Emissionen gehen auf sie zurück. Ich wünsche mir, dass meine Branche nicht für so einen grossen Teil der Emissionen verantwortlich ist. Überall wird recycelt, beim Haushaltsabfall, bei Plastik, wieso nicht in der Baubranche? Wir haben den Hebel, wir müssen ihn nur betätigen. Dafür brauchen wir zum einen Flexibilität bei den gesetzlichen Normen, um Neues zu wagen. Gleichzeitig müsste die graue Energie in der Baubranche dringend reglementiert werden.
Lukas Beck: Wenn schon neu gebaut wird, dann wenigstens richtig, ästhetisch und qualitativ. Wir müssen unsere Baukultur erhalten und es darf nicht alles uniform und unpersönlich sein.
Ronan Crippa: Im Grunde hat Baukultur nicht nur etwas mit Ästhetik zu tun, sondern auch damit, wie wir zusammenleben. Es beeinflusst den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gleichzeitig hat unsere Branche die Möglichkeit, die Zukunft massgeblich zu beeinflussen.
Timothy Allen: Bei all unseren Projekten fällen wir Entscheidungen nach den Vitruvianischen Prinzipien des römischen Architekten Vitruv: Schönheit, Funktionalität und Dauerhaftigkeit. Diese drei Kriterien müssen erfüllt sein, egal ob es um einen Neubau oder Umbau geht.
Zu den Personen:
Lukas Beck
Unternehmen: Gebr. Beck AG
Ausbildung: Stuckateurmeister
Alter: 31 Jahre
Ronan Crippa
Unternehmen: Co-Gründer Allen + Crippa Architekten
Ausbildung: MSc ETH Zürich
Alter: 31 Jahre
Timothy Allen
Unternehmen: Co-Gründer Allen + Crippa Architekten
Ausbildung: MSc ETH Zürich, Hongkong University
Alter: 30 Jahre
Interview mit Andreas Laternser, Bauen + Wohnen, April 2025