Jugendtreff Scharmotz Interview
- Datum
- 2. Juni 2025

«Die Spuren der Veränderung sichtbar machen»
Die Alte Post in Balzers wird in den kommenden Monaten umgebaut, um als neuer Standort für den Jugendtreff Scharmotz zu fungieren. Anstatt auf neue Materialien und Teile zu setzen, wird das Projekt zu einem Experimentierlabor für zirkuläres Bauen, ein Projekt von jungen Erwachsenen für Jugendliche. Getragen wird das Projekt von der Gemeinde Balzers, den Vogt Architekten und dem Netzwerk Zirkulie.
Herr Vogt, Herr Gulli und Herr Rotunno, wie ist es zu diesem Projekt gekommen und welche Idee steckt dahinter?
MATHIAS VOGT: Die Vorgeschichte ist etwas länger. Zusammengefasst ist es so, dass der Jugendtreff Scharmotz einen neuen Standort in Balzers gesucht hat und schliesslich hier im ersten Stockwerk des ehemaligen Postgebäudes untergebracht wurde. Die Lage ist ideal, die Räumlichkeiten aber nicht. Die ehemalige Schalterhalle im Erdgeschoss würde sich für den Jugendtreff jedoch anbieten, es sind jedoch einige Umbaumassnahmen notwendig.
JOHN GULLI: Vor 15 Jahren war ich bereits im Planungsteam mit dabei, als die Alte Post in eine Kita umgebaut werden sollte. Die Kita wurde in anderen Räumlichkeiten untergebracht. Seitdem wird die Alte Post von verschiedenen Gruppen zwischengenutzt. So wurden wir erneut als Architekturbüro angefragt, um die Umnutzung in ein Jugendtreff zu prüfen und das bestehende Gebäude für die nächsten 10 bis 15 Jahre zu erhalten.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
JOHN GULLI: Der Gebäudezustand wurde analysiert und die Pläne wurden digitalisiert. Daraus entstanden erste Entwurfsideen, wie wir mit wenigen Eingriffen die bestehende Räume wiederbeleben könnten. Im Anschluss hat die Gemeinde in Zusammenarbeit mit der Offenen Jugendarbeit und uns einen Workshop mit Jugendlichen abgehalten. Wir wollten herausfinden, wie die Jugendlichen die bestehenden Räumlichkeiten zukünftig auch nutzen wollen. Dieser Event war sehr ergebnisreich und spannend. Denn die Jugendlichen wollten keinen komplett neuen Raum, sie haben das Vorhandene akzeptiert, wollten es nutzen und haben insgesamt sehr bewusst, verantwortungsvoll und nachhaltig argumentiert. Die Idee war schliesslich, die Schalterhalle und Büroräume mit den nötigsten Massnahmen zu erneuern und dabei nachhaltig und ressourcenschonend vorzugehen. Und da es sich um Räumlichkeiten für junge Menschen handelt, haben wir daraus ein Lehrlingsprojekt gemacht, für das Fabrizio zuständig ist.
Das klingt nach viel Verantwortung für Sie als Lernenden?
FABRIZIO ROTUNNO: Ja, das ist es. Dabei werde ich jedoch von John als Coach betreut und er hilft mir bei allen offenen Fragen. Dennoch ist es für mich sehr spannend, an Sitzungen der Gemeinde teilzunehmen und mich auch mit anderen Unternehmern aus zutauschen. In einem ersten Schritt haben wir den Bestand erfasst und eruiert, welche weiteren Massnahmen nötig sind und welche Partner wir brauchen.
In diesem Kapitel stecken Sie aktuell?
FABRIZIO ROTUNNO: Genau. Bei diesem Projekt ist es jedoch nicht so, dass es nur für mich ein Lernendenprojekt ist. Wir haben uns mit Balzner Betrieben ausgetauscht und sie eingeladen, daran teilzunehmen.
JOHN GULLI: Und der Rücklauf ist toll. Kein Unternehmen hat abgesagt, alle machen mit. Bis auf einige wenige Arbeiten können alle von Balzner Lernenden und ihren Coaches durchgeführt werden. Anfang Mai hatten wir die erste Sitzung mit allen Unternehmen und der Gemeinde. Wir haben ihnen das Projekt und die nötigen Arbeiten vorgestellt und nun ist es an den Unternehmen, ihre Arbeit zu offerieren und mit uns die weiteren Details zu finialisieren.
Welche Arbeiten sind geplant?
FABRIZIO ROTUNNO: Bei diesem Projekt geht es nicht darum, das Gebäude für die nächsten 50 oder100 Jahre fit zu machen. Im Zentrum steht, dass anstelle eines Neubaus lieber umgebaut wird und so eine Zwischennutzung für 10 bis 15Jahre möglich ist. Türen, Fenster, Böden und andere Bauteile kommen erneut zum Einsatz, Materialien werden neu kombiniert und neue Baustoffe nur gezielt ein gesetzt.
JOHN GULLI: Das Gebäude wird entrümpelt und wo notwendig mit Bauteilen ergänzt. Diese Grundhaltung soll im fertigen Zustand sichtbar bleiben. Wichtig ist uns dabei, dass die Räume für die Jugendliche zukünftig flexibel nutzbar bleiben und es ein Ort wird, der als gemütlicher Treffpunkt genutzt wird. Man soll hier aber auch einmal einen Workshop abhalten, ein Fest feiern, ein Essen servieren oder sonst etwas hier umsetzen.
MATHIAS VOGT: Die Idee ist, dass nach den Arbeiten die Räumlichkeiten weiterhin ein Experimentierlabor bleiben, wo Jugendliche ihre Ideen verwirklichen können, ein Raum, der weiterlebt und wächst, sich verändert.
Das klingt sehr spannend.
MATHIAS VOGT: Ja, vor allem für die beteiligten Unternehmen. Sie profitieren von diesem Projekt. Es zeigt ihnen auf, wie ein Umbau aussehen kann, und lehrt sie, eingeübte Tätigkeiten vielleicht auch in Zukunft zu hinter fragen. Wir müssen alle lernen, neu zu denken. Und alle sind gefordert, etwas beizu tragen, zu experimentieren und dadurch zu lernen.
Woher nehmen Sie die nötigen Materialien?
FABRIZIO ROTUNNO: Das ist unterschiedlich. Ein gutes Beispiel ist jedoch das ehemalige Restaurant Riet, das nur wenige Meter östlich liegt. In den kommenden Monaten wird es abgerissen und wir haben die Möglichkeit, im Vorfeld Bauteile, Materialien und anderes auszubauen, um es hier wiederzuverwenden.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Zirkulie zustande gekommen?
MATHIAS VOGT: Ich bin selbst in der Kerngruppe von Zirkulie und dementsprechend ist mir hier gleich ein Licht aufgegangen. Es ist ein «perfect match», zirkuläres Bauen ist die ideale Lösung für dieses Projekt. Mehr aber noch, ich denke dass dieser Gedanke in Zukunft zu einer neuen Architektursprache führen wird und Unternehmen sich auch immer intensiver damit auseinandersetzen werden. Ressourcen sind auch bei uns begrenzt und es braucht neue Wege und Lösungen für die Zukunft. Es ist wunderbar zu sehen, wie dieses Projekt an Dynamik gewinnt und wie alle von der Idee begeistert sind. Im Idealfall ist dies ein Leuchtturmprojekt, ein Beispiel, an dem sich andere orientieren und daraus Ideen und Inputs schöpfen können.
Wie sieht der Zeithorizont aus, wann beginnen die Arbeiten?
FABRIZIO ROTUNNO: Die eigentlichen Arbeiten werden nach den Sommerferien beginnen und wir gehen davon aus, dass wir rund ein halbes Jahr für alles brauchen.
JOHN GULLI: Wobei der Zeitrahmen bei diesem Projekt nicht so eng gefasst ist. Im Zentrum stehen ja nicht nur die Arbeiten an sich, sondern das Probieren und Experimentieren der Lernenden. Dazu gehört auch, dass nicht alles immer nach Plan verläuft oder dass man auch einmal vor Herausforderungen steht, die gelöst werden müssen. Dieses Projekt vermittelt Eigenverantwortung aller Beteiligten in einem sinnstiftenden, realen Kontext.
INTERVIEW: ANDREAS LATERNSER
BILD: NILS VOLLMAR
VISUALISIERUNG: VOGT ARCHITEKTEN AG
